Herrschaft
"Herrschaft" wird in den Sozialwissenschaften häufig in Anlehnung an Max Weber verwendet, der ihn in wie folgt definiert:"Herrschaft soll heißen die Chance für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden". (Siehe dazu auch seine allgemeinere Definition der "Macht".)
Table of contents |
2 Formen der Herrschaft 3 Zur Allgegenwart von Herrschaft 4 Zitat 5 Quellen 6 Weblinks |
Typen der Herrschaft
Weber unterscheidet drei Idealtypen von Herrschaft, nach der Art ihrer Legitimation:
- rationale Herrschaft, die auf dem Glauben der an die Legalität gesatzter Ordnungen (zum Beispiel Gesetze) ruht, Beispiel: Bürokratie
- traditionale Herrschaft, die auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und der Legitimität der durch sie Berufenen ruht, Beispiel: Patriarchat, Feudalismus
- charismatische Herrschaft, die auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie geschaffenen Ordnung ruht. Sie versachlicht sich stets in eine rationale oder traditionale Herrschaft, Beispiel: Prophet
Formen der Herrschaft
Herrschaft kann auch danach unterschieden werden, welche Personen oder Gruppen sie ausüben:
Historisch nicht selten ist eine Doppelherrschaft: zum Beispiel das Doppelkönigtum der Römer und Sabiner, ebenso in Sparta. Auch eine Doppelspitze von Republiken kommt vor (Zwei Schofeten im antiken Karthago, zwei Konsuln im antiken Römischen Reich, zwei Staatsoberhäupter im heutigen San Marino. Die Republik Andorra hat einen Präsidenten eines anderen Staates (Frankreich und einen Bischof als nominelle Staatsspitze. Im heutigen deutschen Privatrecht kommt sie oft in der Offenen Handelsgesellschaft oder in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts vor - dort auch mehrköpfige Herrschaftsformen.
Die historischen Hinweise (s.o.) beziehen sich auf ein, zwei Jahrtausende europäischer Überlieferung. Herrschaft ist aber ein Phänomen, das es fast überall in der Welt gab und gibt. In welthistorischer Perspektive ist Herrschaft allerdings noch ganz neu. Sie entwickelte sich erst im Zuge der Domestikation in der Endphase der letzten Eiszeit. Vorher lebten die Menschen in Kleingruppen, im Familienverband ohne feststehende Machtpositionen. Die Mitglieder des Familienverbandes kannten einander persönlich. Die Arbeitsteilung beruhte auf den persönlichen Fähigkeiten und Absprachen. Es gab keinen Häuptling, erst recht keine weitergehende Herrschaft. Reste dieser Gesellschaftsform finden sich mehr oder weniger erkennbar in den noch intakten so genannten Naturvölkern. Ihren Lebensunterhalt erwirtschafteten alle Mitglieder der Gruppe gemeinsam durch Sammeln und Jagen. Kinder waren noch kein Störfaktor wie in der fortgeschittenen Industriegesellschaft. Sie übernahmen vielmehr früh Aufgaben in der Gruppe.
Als die Menschen, getrieben von der Notwendigkeit, sich umstellten auf eine produktive Wirtschaftsweise durch Tier- und Pflanzenzucht, wurden sie allmählich sesshaft. Die Dorfkultur entstand. War in der Vorzeit das Wissen bereits Macht, so steigerte sich die Bedeutung des Wissens nun, weil die Dorfältesten zur Institution wurden, die über wichtige Dinge entscheiden konnte. Verstärkt wurde im Laufe der Jahrtausende aber auch die Bedeutung des Besitzes, der nun angesammelt und vergrößert werden konnte. Dagegen waren die wandernden Sammler und Jäger praktisch alle gleich arm oder besitzlos gewesen.
Der nächste große Schub in Richtung Herrschaft war verbunden mit der Entstehung der ersten Städte. Einerseits wurde die Linie der Domestikation konsequent weiterverfolgt, indem nun nach Tieren und Pflanzen in großem Maßstab und systematisch auch Menschen von Menschen ausgebeutet wurden. Andrerseits begann hier (mit Marx) bereits der Klassenkampf, weil Menschen trotz aller sozialer Mechanismen oder auch Tricks, die Herrschaft legitimieren können oder sollen, glauben, dass sie gleich seien. Die Söldner- und Sklavenhalter-Gesellschaft der so genannten Hochkultur basiert auf dem Prinzip der Ungleichheit. Das ist der Konstruktionsfehler aller Herrschaft. Das ist auch der Grund dafür, dass seit der Zeit der ersten schriftlichen Überlieferungen über Unruhen, Aufstände und Revolutionen berichtet wird.
Herrschaft ging und geht aber nicht nur mit dem Innenkrieg einher, sondern seit Anfang an auch mit dem Außenkrieg. Die Geheimhaltung von Herrschaftswissen ist ein Mittel der Absicherung von Herrschaft. Nicht nur die
Nazi-Diktatur brauchte die Gestapo (geheime Staatspolizei); jede Herrschaft unterhält zu ihrer Absicherung Geheimdienste. In der DDR war die Stasi (Staatssicherheit) ein berüchtigter Spitzeldienst, dessen Akten noch immer für politischen Streit gut sind. In der BRD gibt es den BND (Bundesnachrichtendienst), den MAD (Militärischer Abschirmdienst) und den Verfassungsschutz.
Neben den organisatorischen Absicherungen braucht Herrschaft aber auch eine ideologische. Der Historiker Lewis Mumford schreibt dazu: "Die frühesten als Städte erkennbaren Ruinen zeigen gewöhnlich nur die anfangs beherrschenden Teile, Tempel und Palast." Die beiden Bauten symbolisieren die notwendige Klammer zwischen Herrschaft und Ideologie. Sie sichern sich gegenseitig wie die Türme im Schachspiel. In Europa haben Staat und Kirche viel von ihrem früheren Einfluss verloren. Banken und Medien übernehmen zum Teil deren Funktion.
Zur Allgegenwart von Herrschaft
Der Kampf um die Macht mobilisiert alle Mitglieder der Gesellschaft. Das Kräftemessen auf allen Gebieten wird zur Selbstverständlichkeit. Am Arbeitsplatz, in den paramilitärischen Leibesübungen (s. Olympische Spiele), auf dem Markt, in der Schule und natürlich in der Politik. Die ökonomische Konkurrenz erreicht gerade einen neuen Höhepunkt im Kampf um Marktanteile auf dem globalen Markt.
Die historische Kulisse der seit 6.000 Jahren intensiver und expansiver werdenden Auseinandersetzungen ist die Zunahme der Weltbevölkerung und die dadurch bedingte Verknappung der Ressourcen. Herrschaft mit allem, was dazu gehört, ist aber kontraproduktiv. Sie hat das Wachstum der Weltbevölkerung nur beschleunigt (s. Humankapital) und dadurch den Konkurrenzdruck kontinuierlich erhöht. Mithin erweist sich die Notlösung der Herrschaft (vgl. Hobbes) als welthistorische Falle.
Einen Ausweg aus der fatalen Sackgasse der Weltgeschichte kann nur der Abbau von Herrschaft eröffnen. Erste Schritte müssen die krude Machtausübung einschränken, wie durch Demokratisierung und Internationale Gerichte bereits eingeleitet. Wenn jede Machtposition sich nicht nur durch Sachkompetenz ausweisen kann, sondern gleichermaßen durch ethische Kompetenz, ist Herrschaft praktisch abgeschafft. Es ist nur die Frage, ob der Dampfdruck noch vor dem Bersten des Kessels rechtzeitig gesenkt werden kann.
Der Mensch glaubt manchmal, er sei zum Besitzer, zum Herrscher erhoben worden. Das ist ein Irrtum. Er ist nur ein Teil des Ganzen. Seine Aufgabe ist die eines Hüters, eines Verwalters, nicht die eines Ausbeuters. Der Mensch hat Verantwortung, nicht Macht. (Oren Lyons,Häuptling der Onondaga-Nation)
Zitat
Quellen
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen, 1985.
Kapitel 1, Paragraph 16; Kapitel 3.