Theodor W. Adorno
Theodor Ludwig Wiesengrund-Adorno (* 11. September 1903 in Frankfurt am Main; † 6. August 1969 in Visp, Schweiz) war ein deutscher Soziologe, Philosoph, Musikwissenschaftler und Komponist.
Theodor W. Adorno war bereits als junger Musikkritiker und noch als ordinierter Soziologe vor allem ein philosophischer Kopf. Als Komponist vermochte er aus dem Schatten seines Lehrers Alban Berg nicht herauszutreten. Die Titulierung Sozialphilosoph hebt im Falle Adornos auf den gesellschaftskritischen Schwerpunkt seines Philosophierens ab, dem eine nach 1945 intellektuell führende Rolle im Frankfurter Institut für Sozialforschung entsprach.
Die vorstehende Kurzcharakteristik hat einen Beleg in folgender Selbstbeschreibung Adornos (1965 gegenüber Max Horkheimer). Danach sei er,
Leben und Werk
Siehe auch: Portal Philosophie, Frankfurter Schule, Kritische Theorie.
Die Eltern des Einzelkinds Theodor ("Teddie") waren der Weingroßhändler Oscar Alexander Wiesengrund (1870-1946, jüdischer Abstammung, zum Protestantismus übergetreten) und die Sängerin (und Katholikin) Maria Barbara, geb. Calvelli-Adorno (1865-1952) - daher der später gewählte Hauptname Adorno ("Wiesengrund" mit "W." abgekürzt). Im Elternhaus wohnte auch deren ebenso musikalische Schwester Agathe. Vor allem am vierhändigen Klavierspiel beteiligte sich der Junge von klein auf mit Leidenschaft. Ein Übriges zum Glück der Kindheit tat die alljährliche "Sommerfrische" der Familie in Amorbach (Odenwald). Am Kaiser-Wilhelm-Gymnasium wusste das Wunderkind zu glänzen: Bereits mit 17 Jahren machte er das Abitur als "bester von allen". Neben der Schule hatte er (bei Bernhard Sekles) Privatunterricht in Komposition genommen (1923 Aufführung eines eigenen Streichquartetts) und sich an vielen Samstagnachmittagen gemeinsam mit dem 14 Jahre älteren Freund Siegfried Kracauer in eine wissenssoziologische Lektüre von Kants "Kritik der reinen Vernunft" vertieft. "Nicht im leisesten übertreibe ich, wenn ich sage, dass ich dieser Lektüre mehr verdanke als meinen akademischen Lehrern." An der ebenfalls heimischen (später nach Goethe benannten) Universität belegte er ab 1921 Philosophie, Musikwissenschaft, Psychologie und Soziologie. Das Studium absolvierte der Frühreife zügig: Ende 1924 schloss er es mit einer Dissertation über Edmund Husserl "summa cum laude" ab. Inzwischen hatte er seine wichtigsten intellektuellen Weggefährten kennengelernt: Max Horkheimer und Walter Benjamin.
Während der Frankfurter Studienzeit hatte Adorno sich mit zahlreichen Artikeln als Musikkritiker versucht. Hierin sah er seine künftige Profession. Dieses Ziel vor Augen, nutzte er die Beziehung zu Alban Berg, mit dessen Oper "Wozzeck" er 1924 bekannt geworden war, zu einem musikalischen "Aufbaustudium" an dessen Wirkungsstätte (ab Januar 1925). Auch zu den beiden anderen Größen der Wiener Schule nahm er Tuchfühlung auf: zu Anton von Webern und Arnold Schönberg. Vor allem Schönbergs revolutionäre Atonalität regte den 22-Jährigen zu philosophischen Betrachtungen über die "Neue Musik" an, die bei deren Protagonisten allerdings nicht verfingen. Diese Enttäuschung brachte es mit sich, dass er nach und nach seine Ambitionen in Sachen Musikkritik zugunsten einer Laufbahn als akademischer Lehrer und Sozialforscher zurückschraubte. (Von 1928 bis 1931 war er immerhin noch leitender Redakteur der Avantgarde-Zeitschrift "Anbruch".) Ohnehin war für seine Konzert- und Opernbesprechungen von früh an der philosophische Anspruch charakteristisch. - Außerdem stand die Wiener Zeit unter dem Eindruck von Karl Kraus, dessen Vorlesungen er zusammen mit Alban Berg besuchte, und von Georg Lukács, dessen "Theorie des Romans" bereits den Abiturienten begeistert hatte.
Zurück aus Wien, blieb Adorno zunächst ein weiterer Misserfolg nicht erspart: Eine umfangreiche philosophisch-psychologische Abhandlung, gegen die der Doktorvater Hans Cornelius und auch dessen Assistent Max Horkheimer Bedenken hatten, zog er daraufhin Anfang 1928 als Habilitationsschrift zurück. Erst drei Jahre später sollte er die (1933 dann wieder entzogene) "Venia legendi" mit dem Manuskript "Kierkegaard - Konstruktion des Ästhetischen" erhalten, das er bei Paul Tillich einreichte. Seine Antrittsvorlesung als Privatdozent (Mai 1931) handelte von der "Aktualität der Philosophie"; sie galt ihm zeitlebens als programmatisch. Er stellte darin erstmals ausdrücklich den Begriff der Totalität in Frage, was auf seine berühmt gewordene -gegen Hegel gewendete- Formel "Das Ganze ist das Unwahre" (aus den "Minima Moralia") vorausdeutete. Zu seinen ersten Lehrveranstaltungen gehörte dann ein Seminar über Benjamins Abhandlung "Ursprung des deutschen Trauerspiels". 1932 war der Aufsatz "Zur gesellschaftlichen Lage der Musik" sein Beitrag zum ersten Heft der "Zeitschrift für Sozialforschung", die Horkheimer herausgab; in dessen "Institut" sollte er jedoch erst 1938 eintreten.
Seit den späten Zwanziger Jahren schon hatte Adorno während mehrerer Berlin-Aufenthalte außer zu Benjamin engeren Kontakt zu Ernst Bloch gepflegt, dessen erstes Hauptwerk "Geist der Utopie" er bereits 1921 kennengelernt hatte. Noch anziehender war ihm die deutsche Hauptstadt wegen der promovierten Chemikerin Margarete ("Gretel") Karplus (1902-1993) geworden, die er 1937 in London heiraten sollte. 1934 emigrierte er nach England, um sich in Oxford nochmals zu habilitieren. Dazu kam es zwar nicht mehr, aber als Postgraduierter betrieb er erstmals ein eingehendes Studium der Philosophie Hegels. Außerdem ließ er es sich nicht nehmen, die Sommerferien Jahr für Jahr bei seiner Verlobten in Deutschland zu verbringen. 1936 erschien in der "Zeitschrift" eine seiner umstrittensten Arbeiten überhaupt: "Über Jazz". Es handelte sich dabei jedoch weniger um eine Auseinandersetzung mit dieser besonderen Musikrichtung als um eine erste grundsätzliche Polemik gegen die gerade aufkommende Unterhaltungs- und Kulturindustrie. Der in dieser Zeit intensive briefliche Kontakt mit dem im amerikanischen Exil lebenden Horkheimer mündete in dessen Angebot einer interessanten und einträglichen wissenschaftlichen Tätigkeit jenseits des Atlantiks.
Nach einem ersten New-York-Besuch 1937 entschloss er sich zur Übersiedlung. In Brüssel nahm er Abschied von den Eltern, die 1939 nachkamen, und in San Remo von Walter Benjamin, der in Europa zurückblieb, mit dem der Gedankenaustausch anschließend jedoch in brieflicher Form kulminierte. Kurz nach der Ankunft in New York nahm ihn Horkheimers "Institut" als offizielles Mitglied auf. Die erste Arbeit bestand in der Leitung eines Hörfunk-Forschungsunternehmens (Radio Research Project) zusammen mit dem österreichischen Soziologen Paul Lazarsfeld. Schon bald verlagerte sich die Aufmerksamkeit jedoch auf die direkte Zusammenarbeit mit Horkheimer, die 1941 mit dem gemeinsamen Umzug nach Los Angeles zum Ausdruck kam und 1944 zur ersten Fassung der Essaysammlung "Dialektik der Aufklärung" führte, des Hauptwerks der Kritischen Theorie. Sozusagen den gleichzeitigen Holocaust vor Augen, beginnt die Schrift mit den Worten:
Nach dem Krieg zögerte der von Heimweh Geplagte die Rückkehr nach Deutschland nicht allzu lange hinaus. In Frankfurt bot sich ihm dank Horkheimers Einfluss die Möglichkeit einer außerplanmäßigen Professur, die er 1949/50 wahrnahm und womit sich nach langer Unterbrechung eine akademische Laufbahn fortsetzte, die 1956/57 in der Stellung als zweifacher Ordinarius (Philosophie und Soziologie) gipfelte. Im der Universität angeschlossenen Institut wurde Adornos Führungsposition immer eindeutiger, da sich der acht Jahre ältere Horkheimer mehr und mehr zurückzog und dem Jüngeren schließlich 1958/59 das alleinige Direktorat überließ. Zu einem höheren Bekanntheitsgrad im Nachkriegsdeutschland trug zunächst die Aphorismensammlung "Minima Moralia" bei, die 1951 in dem soeben gegründeten Verlag von Peter Suhrkamp veröffentlicht wurde und die "traurige Wissenschaft" ausführte, die unter dem Eindruck der "drei Höllen: Faschismus, Stalinismus und Kulturindustrie" (Rüdiger Safranski) keine Alternative mehr zuzulassen schien: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Trotz dieses pessimistischen Befunds war das Pensum enorm, das Adorno sich auflud und zu einer herausragenden intellektuellen Gründergestalt der westdeutschen Republik werden ließ, nachdem 1953 ein letzter Versuch, ihn längerfristig an Forschungsvorhaben in den USA zu binden, gescheitert war.
Hier eine Auflistung seiner vielseitigen Engagements:
1966 kam es gegen die Große Koalition von CDU/CSU und SPD zur Bildung einer "Außerparlamentarischen Opposition (APO), die vor allem gegen die von der neuen Regierung geplanten Notstandsgesetze zu Felde zog. Auch Adorno gehörte zu den Kritikern dieser Politik (1968 Teilnahme an Veranstaltung des Aktionskomitees "Demokratie im Notstand"). Als am 2. Juni 1967 bei einer Berliner Demonstration gegen den Schah-Besuch der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde, begann sich die linksgerichtete APO zu radikalisieren, und vor allem an den Universitäten probte man den Aufstand. Es waren nicht zuletzt Schüler Adornos, die den Geist der Revolte repräsentierten und derart "praktische" Konsequenzen aus der "Kritischen Theorie" zogen. Die Köpfe der Frankfurter Schule waren jedoch bei aller Sympathie nicht bereit, den Aktivismus zu unterstützen. So wurde gerade auch Adorno zur Zielscheibe studentischer Aktionen. Umgekehrt sah er sich Vorwürfen von rechts ausgesetzt, zu den geistigen Urhebern linker Gewalt zu gehören. 1969 nahmen die Störungen im Hörsaal in einem Maße zu, dass Adorno seine Vorlesung einstellte. Im Januar hatte er den Versuch, das Institut zu besetzen, polizeilich unterbinden lassen.
Über die letzten Tage des "mit dem Rücken zur Wand" Stehenden heißt es in der 2003 erschienenen Adorno-Biographie von (Stefan Müller-Doohm).
Die Frage der Aktualität einer Theorie, die sich massiv auf die Gesellschaftsverhältnisse ihrer Zeit bezieht, ist eine schwierige. Zumal wurde diese Theorie nach dem Tod ihrer Hauptakteure nur noch langsam und vor allem in andere Richtungen weiterentwickelt. Dennoch kann man die Aktualität konstatieren, obwohl sich die Gesellschaft massiv weiterentwickelt hat. Sie hat sich nämlich in die Extreme entwickelt, die Adorno in seinen Texten beschrieb. Vor allem Adornos Thesen zu Themen der Vergangenheit (Auschwitz), Moral (ein zeitloses Thema) oder zur Kulturindustrie sind Beispiele dafür. Letztere hat sich ja seit Adornos Tod zumindest dem Anschein nach viel mehr zu dem entwickelt, was Adorno schon damals im Kleinen erkannte.
Darzustellen ist auch die Frage nach einer Kritik an der Theorie Adornos. Selbstverständlich, so wie in beinahe jeder Wissenschaft, vor allem in einer so abstrakten wie der Sozialphilosophie, gibt es nicht nur Befürworter dieser Theorie. Es wäre auch nicht im Sinne Adornos, etwas in den Raum zu stellen, ohne den Gegenargumenten ebenso Raum zu lassen, denn es ist anzunehmen, dass das in sich ja schon auf die Methode des dialektischen Materialismus und der Hegelschen Dialektik fundierte Werk Adornos auch mit diesen Methoden weiter zu entwickeln ist.
Die Kritik an Adornos Arbeit kommt meist ebenso wie die Kritische Theorie selbst von Marxisten. Andere Kritiker sind etwa Ralf Dahrendorf oder Karl Raimund Popper und die Positivisten. Die Marxisten werfen den kritischen Theoretikern vor, den Anspruch zu stellen, "das Erbe der von Hegel über Marx verlaufenden Tradition kritischer Philosophie" zu vertreten, ohne sich dem Marxschen Praxiskonzept verpflichtet zu fühlen.
Nach Horst Müllers "Kritik der Kritischen Theorie" stellt Adorno in vielen Aspekten, in denen er über die Totalität schreibt, diese schon als automatisches System dar. Das scheint in der Tat die Absicht Adornos gewesen zu sein, der in der Gesellschaft ein sich selbst regulierendes System sah, aus dem es zu flüchten galt. Es war für ihn existent, aber nicht menschenwürdig, während Müller entschieden bestreitet, dass ein solches System besteht; vielmehr seien nur Einzelfälle derart verblendet.
Müller stellt in seiner Argumentation darauf ab, dass die Kritische Theorie kein praktisches Mittel biete, die Gesellschaft zu verändern. So kommt er zu dem Schluss, dass vor allem Jürgen Habermas, aber auch die anderen Vertreter der Frankfurter Schule Marx verfälscht hätten.
Frühe Frankfurter Jahre (1903-21)
Wiener Intermezzo (1925-26)
Mittlere Frankfurter Jahre (1926-33)
Pendler zwischen Berlin und Oxford (1934-37)
Emigrant in den USA (1938-49)
Ab 1945 betätigte er sich nicht mehr als Komponist. Damit entsprach er auf eigene Weise seinem so harten wie berühmten Wort: "Nach Auschwitz noch ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch." In Sachen Musik erhielt er indessen den ehrenvollen Auftrag von Thomas Mann, ihn bei seinem Roman über "das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn" ("Doktor Faustus") fachlich zu beraten. Außerdem arbeitete er in den 40er Jahren an seiner "Philosophie der neuen Musik" und zusammen mit Hanns Eisler an dessen "Komposition für den Film". Nicht unerwähnt bleiben darf schließlich die von mehreren Forschungsinstituten durchgeführte Untersuchung des -vor allem antisemitischen- Vorurteils ("Studies in Prejudice"), die unter anderem durch indirekte Fragen (F-Skala) an die Versuchspersonen deren "autoritären Charakter aufdeckte. Adornos Beitrag bestand in "qualitativen Interpretationen".Späte Frankfurter Jahre (1949-69)
"Nebenbei" verfasste er eine Fülle eigener Schriften (in Klammern die Bandnummern der zwanzigbändigen Suhrkamp-Ausgabe von 1970 bis 1986):
Darüber hinaus sind seine Vorlesungen, Briefe und Kompositionen überliefert.Letzter Akt (1967-69)
Kritische Würdigung
Siehe auch