Biblische Einleitungswissenschaft
Die Einleitungswissenschaft ist eine Disziplin der biblischen Exegese, die wiederum Teil der christlichen Theologie ist. Entsprechend gibt es auch wissenschaftliche "Einleitungen" in den Talmud und wissenschaftliche "Einleitungen" in den Koran.
Table of contents |
2 Struktur und Aufbau 3 Adressaten 4 Datierung 5 Autorschaft 6 Literatur: 7 Weblinks |
In der Einleitungswissenschaft werden die biblischen Bücher betreffs ihrer Struktur, ihrem literarischem Aufbau und den in ihnen enthaltenen literarischen Gattungen analysiert, sowie auf mögliche Verfasserschaft, eventuell erkennbare Adressaten und Entstehungsort und -zeit hin befragt.
Die Einleitungswissenschaft steht in engem Zusammenhang mit einer Literaturgeschichte der beiden Bibelteile. Während jedoch die Literaturgeschichte die Entstehung und Entwicklung der literarischen Einheiten von der kleinsten Form (z. B. Lied, Spruch, Prophetenwort, Psalm, Sage, Erzählung, Geschichtskorpus) bis zum abgeschlossenen Text in seiner Endform verfolgt, ja die Entwicklung über die Kanongrenzen hinweg verfolgt, setzt die Einleitungswissenschaft genau umgekehrt ein. In einer der Archäologie vergleichbaren Methode fragt sie von der überlieferten und nun vorliegenden Jetzt-Form des literarischen Werkes (Buch des Alten oder Neuen Testaments) zurück nach schriftlichen und ggf. auch mündlichen Vorstufen der kanonisierten Endform.
Da wie viele andere Geisteswissenschaften auch die biblische Einleitungswissenschaft besonders "ideologieanfällig" ist, sollte der Standpunkt des Forschers sich selbst und anderen klar sein, um verdeckte Prämissen zu vermeiden. Die fachliche Zusammenarbeit zwischen Neutestamentlern verschiedener Konfessionen ist heutzutage ziemlich unproblematisch.
Der Aufbau eines Werkes, einer Perikope oder eines Abschnittes sagt viel über die Absicht des Verfassers aus und steht in engem Zusammenhang mit der Gattung. Wie interpretiert, wie "füllt" der Autor die biblische Gattung? (Beispiel: Was sagt etwa ein Brief aus, der die kulturell relativ festgelegte freundliche Anrede vermissen lässt?)
In manchen Fällen sind die Adressaten im Text mehr oder weniger genau bezeichnet, aber auch in solchen Fällen müssen oft weitere Analysen getroffen werden - richtet sich der Galaterbrief an die Galater im Norden oder an die Galater im Süden. Da es zwei Gegenden dieses Namens gab, die von Paulus auf verschiedenen Missionsreisen besucht wurden, spielt das auch für die Datierung eine Rolle.
In anderen Fällen lassen sich durch interne Beobachtungen Hinweise auf die Adressaten finden. Im Markusevangelium sind aramäische Ausdrücke konsequent erklärt, also richtet es sich eher an Heidenchristen außerhalb Israels, Matthäus argumentiert oft auf mit dem Alten Testament, also dürften die Adressaten eher Judenchristen als Heidenchristen sein.
Ebenso spielen da weltanschauliche Fragen hinein, etwa die, ob es sich bei einer erfüllten Prophetie um ein Vaticinium ex eventu halten muss, was besonders bei den synoptischen Evangelien im Zusammenhang mit der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 eine wichtige Rolle spielt. Wurden die Prophetien erst nach der Zerstörung geschrieben, handelte es sich um echte Voraussagen über die Zukunft oder aber um allgemeine Aussagen über die Zukunft, in denen dann hinterher ein konkretes Ereignis "wiedererkannt" wurde?
In der griechischen Antike finden sich viele Beispiele für Pseudepigraphie, vermittels derer ein jüngeres Werk unter dem "Schutz" des bekannten Autorennamens veröffentlicht wurde. Pseudepigraphie war gebräuchlich, um dem Werk mehr Autorität zu verleihen. Im Gegensatz dazu wird jedoch Pseudepigraphie von christlichen Schriften in den Schriften der Kirchenväter des 2. und 3. Jahrhunderts scharf verurteilt (Kanon Muratori, Serapion, Tertullian) und die sorgfältig geprüfte Echtheitsfrage ist bei allen Kirchenvätern, die bezüglich Kanon schreiben ein wesentliches Kriterium für die Aufnahme in den Kanon. Insofern ist die ggf. das Neue Testament betreffende Pseudepigraphie relativ gut zeitlich eingrenzbar: etwa zwischen 70 und 110 n. Chr.
Methodisch ist immer von der genauen Analyse des Textes auszugehen. Beobachtungen am Text müssen gegen überlieferte Sekundärinformationen über den Text abgewogen werden. So können durch die Wahrnehmung von Spannungen im Text Zweifel an der traditionell angegebenen Autorenschaft in ausgelöst werden. Ein klassisches Beispiel ist etwa die Autorenschaft des Mose an den Büchern Genesis und Deuteronomium. Wie kann Mose von der Schöpfung und seinem eigenen Tod berichten? Derartige Textbeobachtungen können ggf. zu Neueinschätzungen der Verfasserschaft führen. Es sind dabei jedoch auch andere Faktoren zu berücksichtigen, z.B. internes und externes Zeugnis für die Autorschaft, mögliche andere Erklärungen für die Spannungen (z.B. Mose hat eine Überlieferung der Schöpfungsgeschichte aufgeschrieben und der Bericht über seinen Tod ist ein Zusatz von Josua).
Wie in anderen Bereichen der Theologie, gibt es auch bei der Einleitungswissenschaft mehr oder weniger konservative und liberale Autoren, deren Thesen und Ergebnisse sich zum Teil sehr unterscheiden. Beispielsweise kann die einleitungswissenschaftlichen Analyse eines liberaleren Autors zum Schluss kommen, dass der Zweite Brief des Paulus an die Thessaloniker nicht von Paulus ist und vom Ende des 1. Jahrhunderts stammt, während ein konservativerer Autor zum Ergebnis kommt, dass der Brief von Paulus selbst und aus den frühen Fünfzigerjahren ist. Solche unterschiedlichen Feststellungen führen dann auch zu einer unterschiedlichen Interpretation dieser biblischen Schrift, da die Umstände der Abfassung und der Kontext wesentliche Faktoren für die theologische Argumentation sind.
Allgemein
Struktur und Aufbau
Die Struktur eines Textes kann sehr aufschlussreich für seine Interpretation sein. So lassen sich unter Umständen Makrostrukturen über mehrere biblische Bücher hinweg (z. B. Pentateuch) verfolgen, die eine literarische Verwandtschaft anzeigen. Ebenso können auf der synchronen Ebene des Textes wichtige textinterne Bezüge aufgedeckt werden: Wird eine spezielle Einleitung öfter wiederholt? Gibt es ständig widerkehrende Stichworte oder Wortspiele? Gibt es ein Versmaß oder rhythmische Brüche? etc.Adressaten
Eine Frage, die die Einleitungswissenschaft beantwortet, ist die Frage nach dem Zielpublikum des biblischen Buchs. Ist z.B. ein neutestamentlicher Brief an Judenchristen, an Heidenchristen, an Gemeindeleiter, an Einzelpersonen, an eine bestimmte Gemeinde oder an alle Christen gerichtet? Die Antwort darauf kann für die Exegese einen großen Unterschied machen.Datierung
Eine wichtige Aufgabe der Einleitungswissenschaft ist auch die Datierung biblischer Bücher. Dabei spielen externe und interne Hinweise eine Rolle, historische Personen, die im Text erwähnt werden, archäologische Funde die mit Angaben im Text übereinstimmen, aber auch Vergleiche mit anderen biblischen Büchern des gleichen Autors oder anderer Autoren.Autorschaft
Im Zusammenhang mit der Datierung stellt sich auch die Frage nach der Autorschaft - stammt der Text vom angegebenen Autor oder handelt es sich um eine Pseudepigraphie.Literatur:
Siehe auch:
Bibel, Theologie, Textkritik des Neuen Testaments, Kanon des Neuen Testaments, Kanon des Alten TestamentsWeblinks